“Ihr geht zu schnell”
Wir kannten uns noch keine fünf Minuten, die Begrüßung im Hotel war mehr als freundlich und so machten wir uns zu Fuß auf den Weg zu unserem ersten Termin. Und dann das: Unser Besuch sagt nach den ersten Schritten mit einem freundlichen Lächeln: “Ihr geht zu schnell”. Gemeint ist die Beobachtung, dass wir in Deutschland und Europa offenbar wesentlich schneller (vielleicht zu schnell) gehen als in Indien. Gemeinsam fanden wir dann ein gutes Tempo.
Diese kurze Szene beschreibt die Begegnung mit zwei hauptamtlichen CVJM-Sekretären aus dem YMCA Indien ganz gut: Entdeckungen in der Begegnung mit dem Anderen machen und so voneinander lernen.
Besuch aus Südindien
Vom 06.-09.05.2017 waren Joshua Moses vom YMCA Madurai und Richard Ezekiel vom YMCA Madras aus dem südindischen Bundesstaat Tamil Nadu zu Gast. Ein sechswöchiges Fortbildungsprogramm im indischen YMCA in London führte sie für eine Exkursion auch nach Norddeutschland. Ziel war dabei einerseits die seit vielen Jahren bestehende Partnerschaft mit dem deutschen CVJM zu festigen, andererseits sollten beide die CVJM Arbeit in Deutschland kennen lernen.
Ein volles Besuchsprogramm
Ein eng getaktetes Besuchsprogramm hatte sich der Arbeitskreis Weltweit des CVJM Norddeutschland für die beiden Besucher ausgewählt. Neben etwas Sightseeing in Bremen und Oldenburg standen vor allem Begegnungen mit Menschen und Einrichtungen an.
Los ging es am Sonntag mit dem Besuch von “Soulfood”, einem ökumenischen Treffen von Jungen Erwachsenen in Oldenburg. Gemeinsam wurde gegessen, gesungen und die Teilnehmenden konnten über die YMCA-Arbeit in Indien aus erster Hand zahlreiche Informationen sammeln. Beispielsweise, dass in beiden indischen YMCA mit benachteiligten Kindern, Jugendlichen und Familien gearbeitet wird und sie dort eine echte Chance erhalten, sich durch das Engagement des CVJM entsprechend entwickeln zu können. Eine Chance, die sie ohne die wertschätzende und menschenfreundliche Haltung des YMCA nicht bekommen würden.
Eine ähnliche Begegnung fand am Abend im CVJM Bad Zwischenahn und am Montagabend im CVJM Bremen statt. Hier wiederum konnten Moses und Richard norddeutsche Ortsvereine aus erster Hand erleben und mit engagierten CVJM Mitgliedern in Austausch kommen. Besonders beeindruckend fanden beide die Möglichkeiten der TEN SING Arbeit, die von Tabea Meyerjürgens, ehrenamtliche Mitarbeiterin aus dem CVJM Bad Zwischenahn, vorgestellt wurde.
Besondere Begegnungen
Eine Begegnung der besonderen Art gab es am Sonntagnachmittag mit dem katholischen Pfarrer in Bad Zwischenahn. Kaplan Pater Clement Martis, ebenfalls aus Indien stammend, freute sich sichtlich über den Besuch aus seinem Heimatland. Es entwickelte sich ein Gespräch über die markanten Unterschiede in den Lebensweisen der beiden Länder. Beispielsweise die Individualisierung auf der einen und der Zusammenhalt der Großfamilie auf der anderen Seite.
Besonders an dieser Begegnung war auch die Verpflegung. Pater Clement Martis hatte für die Gäste Käsekuchen besorgt … typischer für unser Land ging es kaum. Eine schöne Idee.
Profis unter sich
Da beide Besucher in Indien mit der Förderung von benachteiligten Menschen professionell zu tun haben, sollten sie ebenfalls vergleichbare Einrichtungen aus der Region kennen lernen. So standen ganztägige Besuche im CVJM Sozialwerk Wesermarsch mit Fachbereichsleiter Jan Geerts und des CJD Bremervörde mit Dipl. Psychologin Anke Katrin Suhling (stellvertretende Vorsitzende des CVJM Norddeutschland) an. Beide Fachleute führten die Besucher jeweils mit großen eigenen Engagement durch die Einrichtungen. Gemeinsamkeiten mit der Arbeit in Indien wurden sichtbar. Auch hier ist die Haltung gegenüber den anvertrauten Menschen zu nennen, die sich durch einen wertschätzenden Umgang miteinander auszeichnet. Nicht zuletzt gespeist aus einer grundsätzlich christlichen Wertvorstellung heraus.
So waren beide Besucher sehr beeindruckt, wie beispielsweise mit Menschen in den Einrichtungen umgegangen wird, die unter Benachteiligungen oder Einschränkungen leiden und welche Möglichkeiten es in Deutschland gibt, individuell gefördert werden zu können.
Kraft aus gelebtem Glauben
Auch wenn die Geschwindigkeiten in den Kulturen zwischen Indien und Deutschland unterschiedlich sind und man sich allein schon beim Gehen irgendwie auf das Tempo einigen muss, gibt es bei genauerem Hinsehen sehr viele Möglichkeiten, voneinander zu lernen und zu profitieren. Christen, die ihren Glauben überzeugend leben und aus dieser Kraft heraus bemerkenswerte Programme entstehen, gibt es in Indien wie in Deutschland. Das ist ermutigend und zeigt, dass der CVJM/YMCA Ansatz, am Reich Gottes mitzubauen und sich mit seinen eigenen Fähigkeiten einzubringen, der richtige ist.
Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Olav Rothauscher, dem Vorsitzenden des Arbeitskreises Weltweit im CVJM Norddeutschland. Nur durch seinen engagierten und zeitintensiven Einsatz für die weltweite CVJM-Gemeinschaft, konnte diese intensive Begegnung stattfinden.
Für den CVJM Norddeutschland, Friedemann Hönsch